Buchbesprechung „Oh je, Herr Carlowitz“

„Oh je, Herr Carlowitz“ / Nachhaltigkeit in der Praxis: Sachbuch von Michael Wühle

 

Gerade in Zeiten, in denen Begriffe wie Abgasskandal, Luft- und Gewässerverschmutzung, Lärmbelästigung durch Verkehr, Vergeudung von Ressourcen oder Klimawandel und Umweltkatastrophen, zu den geläufigsten Schlagwörtern gehören, die wir täglich in unseren Medien wahrnehmen, rückt ein weiterer Begriff immer deutlicher in den Fokus der Berichterstattung.

Das Wort Nachhaltigkeit hören oder lesen wir fast täglich. Mitunter entsteht dadurch der Eindruck, dass Nachhaltigkeit ein oftmals falsch verstandener, zumindest überstrapazierter Begriff ist, der für Alles und Nichts steht. Seit einigen Jahren schwappt sozusagen eine Nachhaltigkeitswelle über die Wirtschaft hinweg. Leider wird dieses Phänomen in der Medienberichterstattung oftmals viel zu ungenau erklärt.

Gleichzeitig verzichtet heute kaum noch ein Unternehmen auf umfangreiche Nachhaltigkeitsberichte. Geldinstitute werben mit nachhaltigen Kapitalanlagen, Anlageberater bieten nachhaltige Investmentfonds an. Selbst Energieunternehmen werden darauf hin analysiert, ob die von ihnen angepriesenen Clean Energy Bonds auch tatsächlich aus nachhaltigen, sprich erneuerbaren Quellen gespeist werden, usw. Die eigentliche Bedeutung des Begriffes Nachhaltigkeit verkommt dabei leider oftmals zur belanglosen Floskel. Auch deshalb liegt die Befürchtung nahe, dass die wenigsten Menschen die eigentliche Bedeutung dieses Begriffes gar nicht richtig einzuschätzen vermögen.

Was meint der Begriff Nachhaltigkeit genau, wo kommt er her und was hat er tatsächlich mit unserem Alltagsleben zu tun?

Nun ist endlich ein neues Sachbuch zu diesem wichtigen Thema erschienen, das zu dieser Problematik eine ganze Reihe Antworten bereithält. Oh je, Herr Carlowitz ist aber nicht nur angehenden Nachhaltigkeitsmanagern zu empfehlen, es bietet auch dem Laien oder Quereinsteiger ein ganz solides Basiswissen.

Alle Kapitel sind übersichtlich und thematisch geordnet und werden durch zusätzliche Fußnoten und einem umfangreichen Anhang am Ende des Buches sinnvoll ergänzt. Der Autor verwendet auch anschauliche Grafiken und beschreibt zusätzlich Szenen aus unserem Alltag. Dadurch wird dieses Buch zur Argumentationshilfe und gleichzeitig zum Lehrbuch. Für den interessierten Leser stellt es darüber hinaus einen reichhaltigen Fundus an wichtigem Hintergrundwissen zur Verfügung.

Hans Carl von Carlowitz

Der bereits im Buchtitel erwähnte Herr Carlowitz ist eine historische Person der Zeitgeschichte. Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) war als Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in Freiberg (Sachsen) tätig und gilt heute allgemein als Begründer des Nachhaltigkeitsprinzips. Angesichts einer drohenden Rohstoffkrise im 18. Jahrhundert formulierte er in seinem Werk Sylvicultura oeconomica erstmals, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch planmäßige Aufforstung, also durch säen und anpflanzen, nachwachsen konnte.

Holz war damals der wichtigste Rohstoff, der nicht nur zum Bauen benötigt wurde, sondern auch als Energieträger zum Kochen und Heizen unentbehrlich war. Besonders aber war in der damaligen Zeitepoche der Bergbau dringend auf Holz angewiesen. Der Silberbergbau im Erzgebirge, seinerzeit das wirtschaftliche Rückgrat Sachsens, war durch planlosen Raubabbau der Wälder zusehends in seiner Existenz bedroht. Holz wurde für den Ausbau der Gruben, den Erzabbau selbst und insbesondere für die Schmelzöfen in großen Mengen benötigt. Jahrhundertelang hatte man die einheimischen Wälder als Ressourcen übernutzt, so dass die Umgebung der Bergbaustädte weitgehend kahl geschlagen waren. Es ging sogar soweit, dass weite Flächen in ganz Europa entwaldet wurden und verödeten. Irgendetwas musste dringend geschehen, um doch noch eine drohende Katastrophe abzuwenden.

Das Prinzip, auf dem von Carlowitz aufbaute, lässt sich vereinfacht so darstellen: Einen Baum fällen, dafür drei neue Bäume anpflanzen. Carlowitz widmete sein Werk dem damaligen Sachsenkönig „August dem Starken“ und er stellte seine Vorschläge zur Lösung des Rohstoffproblems wie folgt dar:

„Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armuth und Dürftigkeit. Es lässet sich auch der Anbau des Holzes nicht so schleunig wie der Acker-Bau tractiren; … Wird derhalben die größte Kunst, Wissenschaft, Fleiß, und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe, weiln es eine unentbehrliche Sache ist, ohnewelche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“

Einen Baum fällen, dafür drei neue Bäume anpflanzen. Das war für die damalige Zeit ein revolutionärer Ansatz, der nicht kurzfristig, sondern langfristig ausgerichtet war.

Mitunter kommt ein ökonomischer wie auch ökologischer Umbruch so lautlos und extrem langsam daher, dass die Zeitgenossen ihn zunächst kaum bemerken. Im Laufe des 20. Jahrhunderts (also erst 200 Jahre später) entwickelte sich aus der Ursprungsidee des Entdeckers der Nachhaltigkeit ein erster globaler Erweiterungsgedanke. Durch internationale Konferenzen der Vereinten Nationen kam es zu einer Neudefinition. Es entstand der Begriff: sustainable development. Unter dem Dach der Vereinten Nationen ist inzwischen eine weltweite Bewegung entstanden, die sich den United Nations Principles of Responsible Investing (UN PRI) verpflichtet fühlt.

Nachhaltigkeit in der Praxis

Aufbauend auf diese Erkenntnisse versucht der Autor des Sachbuches Michael Wühle auf eben diese dringende Notwendigkeit eines Umdenkens, und auf die damit einhergehenden ökonomischen, ökologischen und auch sozialen erforderlichen Veränderungen hinzuweisen. Sein Werk deutet aber nicht nur auf die gegenwärtige Symptomatik hin, sondern es enthält auch eine Reihe ganz konkreter Anregungen und realitätsbezogener Vorschläge, wie jeder von uns richtig praktizierte Nachhaltigkeit in sein persönliches Leben einbeziehen und sogar gewinnbringend anwenden kann. Der Leser kann für sich selbst einen ganz persönlichen Nachhaltigkeitskodex erstellen: Ernährung, Energieverbrauch, Strom, Wasser im Haushalt. Fast alles, was für den kleinen privaten Haushalt gilt, kann im Grundsatz auch auf größere Wirtschaftszweige übertragen werden. Wie das funktionieren kann, dafür liefert das Buch einige praxisnahe Bespiele.

Michael Wühle geht davon aus, dass ein Nachhaltigkeitsbericht in wenigen Jahren für jede Organisation, die international tätig sein will, eine alternativlose Maßnahme für ein Bestehen am Markt sein wird. Er ist auch davon überzeugt, dass sich die rein profitorientierte betriebswirtschaftliche Unternehmensphilosophie heute längst überlebt hat. Er deutet zugleich an, wie dieser dringend notwendige Impuls zu einem zukünftigen Umdenkungsprozess hinführen wird.

„Jeder von uns, wirklich jeder, kann auf seiner Ebene Positives dazu beitragen, dass unser Handeln nachhaltiger wird. Es klingt verrückt, aber vielleicht sind der globale Klimawandel und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen, wie Dürren, Überflutungen und andere Starkwetterereignisse der bisher fehlende starke Impuls, der die gesamte Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit und damit zu einer besseren Gesellschaft treibt?“

Sachbuch zur Nachhaltigkeit in der Praxis

Das Buch verschafft nicht nur dem interessierten Laien eine umfassende Übersicht über die zentralen Aspekte des Nachhaltigkeitsmanagements, es bietet auch dem Praktiker wichtige Entscheidungshilfen für ein verstärktes Engagement. Als Leser und Rezensent wünschte ich mir dieses Sachbuch in die Hände eines jeden politischen wie auch wirtschaftlichen Entscheidungsträgers. Es sollte – meiner Meinung nach – zukünftig auch mit in den Schulunterricht einbezogen werden. Gibt es eigentlich schon das Unterrichtsfach Nachhaltigkeitsmanagement?

Getreu seinem eigenen Nachhaltigkeitsprinzip, fügte der Autor auch noch einen weiteren Aspekt hinzu, in dem er sein Werk ausschließlich als E-Book veröffentlichte. Hans Carl von Carlowitz würde wahrscheinlich schon deshalb dieser Umstand großes Wohlbehagen bereiten, da für die Herstellung und Veröffentlichung dieses Buches kein einziger Baum gefällt werden musste.

Rezension von: Peter Eckhart Reichel


neue überarbeitete Auflage:

Nachhaltigkeit – einfach praktisch!

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